GEMEINSCHAFT UND FREIHEIT

… eine komplexe ideengeschichtliche Landkarte

Ich lese gerade das wunderbare Sachbuch: Feuer der Freiheit, die Rettung der Philosophie in finsteren Zeiten 1933-1943, von Wolfram Eilenberger. Simone de Beauvoir, Hannah Arendt, Ayn Rand und Simone Weil. Vier Frauen. Vier Philosophinnen. Kulturelle Ahninnen auf deren Schultern wir tanzen dürfen. Für den Frieden. Und die Freiheit.

Die Anderen und ich. Wie gelingt uns das mit diesem Wir? Ist es möglich frei und in Gemeinschaft zu sein? Wie viel Alleinsein braucht es für tiefes Denken? Oder gelingt es am intensivsten in der Spiegelung eines Gegenübers auf Augenhöhe?

So viele große Namen haben sich mit diesen Fragen beschäftigt. Und sehr sehr unterschiedliche Antworten gefunden. Ich erlaube mir – ohne einen akademisch/wissenschaftlichen Anspruch – dazu ein wenig herum zu mäandern. Mein Forschen in den letzten 20 Jahren hat zu 90% im Alleingang stattgefunden. Meine Begleiter waren und sind Bücher, Essays, Vorträge. Und gelebtes Erfahrungswissen. Ein wenig live Austausch mit Freunden und Familie. Einige Kreisgespräche am Feuer.

Simone de Beauvoir:

„Niemand ist eine Insel. Niemand kann nur für sich frei sein. Vielmehr liegt die wahre Voraussetzung meiner Freiheit in der Freiheit des anderen Bewusstseins – ja konsequent weitergedacht, in der freien Anerkennung aller anderen Bewusstseine. (...)Als wahrer Schöpfer und eigentliches Maß verbleibt allein der in die Freiheit seines Daseins geworfene, handelnde Mensch - als einer unter anderen. Das Feuer individueller Freiheit und das Feuer politischer Freiheit waren also in Wahrheit ein und dasselbe. Und es loderte in jedem von uns – für jeden. (…) (es geht) um mehr. Sich zur Ameise unter Ameisen zu machen oder freies Bewusstsein angesichts von Bewusstseinen. Metaphysische Solidarität, eine Neuentdeckung für mich (…) „

Gedankentänze aus dem, von den Deutschen besetzten, Paris 1941. Für meine Friedenstauglichkeit nehme ich mit: die metaphysische Solidarität und die zwei Feuer der Freiheit – individuelle und politische. Und die freie Anerkennung aller anderen Bewusstseine.

Und spüre da schon meine ersten Hindernisse in Bezug auf meine diesbezügliche Friedenstauglichkeit. Ich darf mir offen eingestehen, dass mir dies nur eingeschränkt möglich ist. Die freie Anerkennung aller anderen Bewusstseine. Ich werte. Ich sage Nein. Und Stop. Immer wenn Gewalt und Unterdrückung im Spiel sind. Und dies tun andere Bewusstseine anderen Bewusstseinen an. Seit Jahrtausenden. Aus sehr ähnlichen Motiven, meist Macht, Gier, Kontrolle. Wie also geht das mit der Freiheit, Gemeinschaft und Friedenstauglichkeit? Was hilft uns Menschen diesen Traum zu leben? Was darf sich wandeln? Individuell und Politisch? Frage ich ins kriegstaumelnde kollektive Feld Europas Anfang 2025.

Simone Weil:

„Wer die Macht hat, bewegt sich in einem Milieu, das ihm nicht widersteht, ohne das in der Menschenmasse um ihn herum irgendetwas dazu geeignet wäre zwischen Impuls und Handlung den kleinen Abstand zu schaffen, wo Raum für Denken bleibt. Wo das Denken keinen Platz hat, kann es weder Umsicht noch Gerechtigkeit geben (…)” Das erinnert mich an die Einhegung von Macht wie sie Herr Mausfeld in seinem Buch „Hypris und Nemisis“ herausarbeitet als Grundvoraussetzung für Demokratie. Vertraue ich wirklich dem Denken so tief? Und ja, würden die politisch und militärisch Mächtigen das menschliche Gehirn denn als ihren neu erkorenen Kriegsschauplatz wählen, wenn von ihm keine Gefahr ausginge? Wenn Denken ihnen nicht ernsthaft gefährlich werden kann? Seit circa 120 Jahren werden Propagandamethoden ersonnen – und immer weiter verfeinert – um dem Individum das freie Denken schwer zu machen.

Also Ja. Denken ist eine Voraussetzung für Freiheit und Frieden.

Ayn Rand legt ihre philosophischen Ansichten in Romanen und Theaterstücken nieder. Die Hauptfigur ihres Romans `The Fountainhead` (1943 in New York erschienen) beschreibt sie : „Indifferenz und eine unendliche, gelassene Missachtung ist alles, was er für die Welt und die Menschen empfindet, die nicht so sind wie er. (…) Als jemand, der vollkommen in sich selbst ruht und gründet, sehnt er sich nicht nach anderen seiner Art (…) Sein Gefühlszustand ist eine beständig andauernde Lebensfreude im Wissen um seine Fähigkeiten; eine Freude, die ihm nicht einmal bewusst ist, weil sie so konstant und natürlich ist (…) Seine Gefühle unterliegen vollständig der Kontrolle seiner Logik. Besser gesagt, beide sind untrennbar eins, wobei die Gefühle der Logik folgen.“ Ich spüre: ich ahne die Freiheit, welche darin liegen mag so zu sein, so zu empfinden, so zu leben. Nur: dies ist mir so wesensfremd, dass ich diese Option hier einfach so wirken lasse. Ohne weiteres mäandern um sie herum. Bleibt zu erwähnen, Ayn Rand ist sehr beliebt und sehr erfolgreich und sehr viel gelesen und rezipiert in Amerika bis heute. Was ich gerne mitnehme ist die beständig andauernde Lebensfreude im Wissen um die eigenen Fähigkeiten. Dies schenkt – meiner Erfahrung nach - Gelassenheit und Frieden mit sich selbst. Und dies wiederum nährt meine Friedenstauglichkeit erheblich. Und meine Freiheit in Gemeinschaft ebenfalls.

Bleibt Hannah Arendt. Die Grande Dame der politischen Philosophie. So jedenfalls habe ich sie immer wahrgenommen. Die politische Macht durchleuchtet hat, ja vielleicht seziert. Sie war mir mit ihren Schriften am bekanntesten von den vier Philosophinnen und gleichzeitig wusste ich einfach sehr wenig über ihr Leben. Als bekennende Jüdin. Ihr Kontakt zum entstehenden Staat Israel. Ihre Erfahrung als Staatenlose in Paris. Die komplizierte Flucht nach Amerika und der wenig einfache Anfang dort. Was darf ich bei ihr einsammeln zu meinem Thema Gemeinschaft und Freiheit?

Am meisten berührt mich die Aktualität ihrer Analysen und Betrachtungen. Hier ein Beispiel , ihr Kommentar zur Vision eines Nationalstaates der zionistischen Bewegung Anfang der 1940iger Jahre: „Damals äußerte sich im Antisemitismus noch ein typischer Konflikt, wie er in einem Nationalstaat unvermeidlich ist, in welchem die grundlegende Identität von Volk, Territorium und Staat notgedrungen gestört wird durch die Anwesenheit einer anderen Nationalität, die in welcher Form auch immer sich ihre Identität erhalten will. (...)Selbst eine jüdische Mehrheit in Palästina (…) würde nichts Grundlegendes an einer Situation ändern, in der Juden entweder eine auswärtige Macht zum Schutz gegen ihre Nachbarn ersuchen oder eine wirksame Verständigung mit den Nachbarn erreichen müssen.“

Genau.

Seit ich ein denkender Mensch bin, also circa 50 Jahre, lebe ich mit dem sogenannten Nahostkonflikt. Und gerade aktuell seit Oktober 2023. Weder Gemeinschaft noch Freiheit konnte sich etablieren. Ich bin weit davon entfernt diese politische Lage dort zu kommentieren. Dafür fehlt mir die Sachkompetenz. Mein Erfahrungswissen jedoch lässt mich fühlen, dass dieser Kommentar viel Wahrheit enthält. Und diese Nationalstaat-Idee auch in anderen geographischen Regionen für Zündstoff und Konflikte sorgte und sorgt. Und ganz offensichtlich der politischen Freiheit anderer Bewusstseine im Wege steht. Und von einer metaphysischen Solidarität einer Simone de Beauvoir ganz weit entfernt ist. Politische Gemeinschaft und Freiheit wohl eher in Bildern von Regionen gedeiht.

Ich bedanke mich bei Wolfram Eilenberger für diese aufregende Reise in die Feuer der Freiheit. Und überlasse ihm die letzten Gedanken dieses Blogbeitrags. Mit ihnen fasst er Hannah Arendts Mission zusammen: „Geschichte weder naiv erzählen noch platt kausal erklären. Sondern im Namen eines gegenwärtigen Denkens - eines Philosophierens im Weltbegriff – immer wieder für jene schockartigen Störungen sorgen, die den Blick in verschwiegene oder auch nur verstellte Abgründe öffnet. Dazwischen sein – dazwischengehen. (...)

Oma Gaby, Polithexe, Mitte Januar 2025

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